Liebe Lesende

Liebe Lesende,

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Luci­en Lafayette

6. August 2022

Aus­zug aus mei­ner Versicherungspolice

Wenn wir sprechen, könnt` ich brechen.

Wer was zu sagen hat, soll­te sich auch kor­rekt aus­drü­cken kön­nen. Also kann ich schon­mal gleich die Fres­se hal­ten. Sich gen­der­po­li­tisch kor­rekt aus­zu­drü­cken, ist mir in mei­ner Spra­che näm­lich lei­der gar nicht mög­lich. Gen­der­ge­rech­ter oder gen­der­neu­tra­ler Sprach­ge­brauch sind zwar echt lobens­wer­te Idea­le, aber lobens­wer­te Idea­le sind wie gei­le Por­nos. Jeder wichst drauf, aber kei­ner spielt drin mit. Und die Rea­li­tät ist es sowie­so nicht. Die Spra­che der Dich­ter und Den­ker kann ein­fach nicht ohne Gen­der, obwohl sie das mal so gar nicht drauf hat. Und alle wirk­lich gut gemein­te lin­gu­is­ti­sche Flick­schus­te­rei der gen­der­ge­rech­ten oder gen­der­neu­tra­len Spra­che, kratzt nur an der Ober­flä­che einer wesent­lich tie­fer rei­chen­den Alt­last: Die wirk­lich stein­al­te Welt­an­schau­ung, auf der sich unse­re Spra­che grün­det. Genau­er gesagt, unser Hoch­deutsch gibt es seit dem Jah­re 1650. Und wie die Welt im Jah­re 1650 aus­sah, kön­nen wir uns so unge­fähr vor­stel­len. Damals ver­brann­te man lie­ber Hexen und Hei­den, als sich um sowas wie Eman­zi­pa­ti­on oder Gen­der­iden­ti­tä­ten Gedan­ken zu machen. Aber aus eben die­ser Zeit und aus ihrem Welt­bild her­aus ent­stand unse­re Spra­che. Da wir inzwi­schen etwas klü­ger sind, könn­te man das Gan­ze eigent­lich als rei­ches kul­tu­rel­les Erbe abha­ken und ein­fach sagen, was man denkt. Aber so ein­fach ist das nicht mit dem Den­ken und dem Spre­chen. Die Spra­che, die wir spre­chen, ist näm­lich auch die Spra­che, in der wir Den­ken. Und die Spra­che, in der wir den­ken, formt unse­re Wahr­neh­mung, unser Welt­bild und damit letzt­end­lich unse­re Wirk­lich­keit. So sehen wir die Welt von heu­te in einer Spra­che von vor 400 Jah­ren. Das kann ja nicht gut gehen. Tut es auch nicht. 
Das ers­te und exem­pla­ri­sche Pro­blem der deut­schen Spra­che mit Gen­der ist, dass sie über­haupt kein Wort für Gen­der hat. »Geschlecht« bedeu­tet im Deut­schen sowohl »kör­per­li­ches Geschlecht« als auch »sozia­les Geschlecht«. Das zu unter­schei­den, ist aber eine der wich­tigs­ten Grund­la­gen der Gen­der­dis­kus­si­on. Denn bei­des als ein und das­sel­be zu sehen, wäre sexis­ti­sche Bigot­te­rie. Um so skur­ri­ler ist es, dass unse­re Spra­che, obwohl sie kein Wort für Gen­der hat, in jedem Satz immer­zu Gen­der­the­men hat. Und das nicht zu knapp. Kaum eine ande­re Spra­che ist so gen­der­wü­tig wie die unse­re. Wenn wir am Sonn­tag­nach­mit­tag in den Gar­ten gehen, um den Rasen zu spren­gen, dann nennt man uns ent­we­der »Gärt­ner« oder »Gärt­ne­rin«, je nach Geschlecht. Dem Rasen ist es zwar ziem­lich egal, wel­ches Geschlecht ihn gießt und das Gras wird davon auch nicht grü­ner, aber der deut­schen Spra­che ist das Geschlecht der im Gar­ten arbei­ten­den Per­son unge­heu­er wich­tig. So wie auch das Geschlecht eigent­lich jeder Per­son, über die sie redet, auch wenn es sonst nie­man­den inter­es­siert. Aber so wenig das auch von Inter­es­se sein mag, wehe dem, der es falsch macht. Nennt man den »Gärt­ner« »Gärt­ne­rin«, stellt man sei­ne Männ­lich­keit in Fra­ge. Nennt man die »Gärt­ne­rin« »Gärtner«,wirkt man schnell anti­fe­mi­nis­tisch. So straft die deut­sche Spra­che Abwei­chun­gen von ihrer Norm. Egal, ob die unge­woll­te Zusatz­in­for­ma­ti­on des Geschlechts der Per­so­nen, über die man redet, nun bloss unnö­tig und ner­vig oder gar irre­füh­rend bis belei­di­gend wirkt, wenn die eige­ne Spra­che Sachen macht, die der Spre­cher weder braucht, noch will, ist das bedenklich. 
Als wäre es nicht schon kom­pli­ziert genug, über­all da zu gen­dern, wo es kei­ner braucht. Da wo man es wirk­lich drin­gend bräuch­te, gen­dert unse­re Spra­che dann gar nicht. So defi­niert der deut­sche Volks­mund z.b.: »Schlam­pe« [f. die], als »Bezeich­nung für eine Frau mit den Moral­vor­stel­lun­gen eines Man­nes«. Ein gen­der­ge­rech­tes Pen­dant lässt bis heu­te auf sich war­ten. So feh­len unse­rer Spra­che aber­tau­sen­de Voka­beln, die wir eigent­lich drin­gend bräuch­ten, um unse­re Per­sön­lich­keit und Gefühls­wel­ten ordent­lich aus­zu­drü­cken und aus­zu­le­ben. Aus Heb­am­men Geburtshelfer*innen zu machen oder den »Fach­mann« um die »Fach­frau« zu erwei­tern, obwohl bei­des »Fach­kräf­te« sind, löst näm­lich nicht Pro­ble­me wie bei­spiels­wei­se das von Prinz und Prin­zes­sin. Denn wenn sich Prinz und Prin­zes­sin eman­zi­pie­ren, haben sie auf ein­mal kei­ne Namen mehr. Wie nennt man denn einen männ­lich gegen­der­ten Men­schen, der alle Attri­bu­te einer Prin­zes­sin ver­kör­pert? »Prin­zes­ser«, »Prin­zes­sor«, »Prin­zess­kar­tof­fel«? Klingt alles unge­wohnt und exis­tiert im Sprach­ge­brauch nicht. Dafür haben wir aber von »Schwuch­tel« bis »Mem­me« jede Men­ge sehr abwer­ten­de Begrif­fe dafür. Weib­lich gegen­der­te Men­schen, die tol­le Prin­zen abge­ben, hei­ßen im Volks­mund auch nicht »Prin­zin« oder »Prin­zet­te« son­dern eher »Kampf­les­be« oder »Manns­weib«. Aber »Prinz« und »Prin­zes­sin« mit jeweils einem gen­der­neu­tra­len Wort zu bezeich­nen, kann unse­re Spra­che aber auch nicht. Tja, wer im Deut­schen nicht männ­li­cher Mann oder weib­li­che Frau ist, kriegt schnell ihre geball­te Sprach­ge­wallt über. Und wer sich zu ande­ren Geschlech­tern als Cis-Frau oder ‑Mann zählt, hat in unse­rer Spra­che schon­mal gar kei­nen Platz. Ich per­sön­lich bin trotz­dem eine der schil­lernds­ten und bezau­bernds­ten Prin­zes­sin­nen der deut­schen Haupt­stadt, obwohl ich einen wun­der­schö­nen Pri­zes­si­nen­schwanz habe, auch wenn mei­ne Mut­ter­spra­che kei­ne Wor­te für mich hat. 
Um all die­se und vie­le ande­re sprach­li­che Miss­stän­de aus­zu­bü­geln, gibt es genau so vie­le wie unpo­pu­lä­re Ideen. Denn nur weil ein Hau­fen klu­ger Men­schen­recht­ler auf euro­päi­scher Ebe­ne die Stra­te­gie des Gen­der-Main­strea­ming zur all­ge­mei­nen Richt­li­nie erklärt, heißt das noch lan­ge nicht, dass jeder Hans-Otto auf­hört zu reden, wie ihm der Schna­bel gewach­sen ist. Dafür kri­ti­siert er lie­ber laut­stark, sei­ne Spra­che wür­de ver­schan­delt wer­den, wenn man sie gen­der­ge­recht gestal­tet. Und damit hat er sogar recht. Die deut­sche Spra­che ist ent­we­der unge­recht und wohl­klin­gend oder gerecht und gestelzt. Aber selbst wenn wir das lite­ra­ri­sche Genie besit­zen wür­den, wel­ches Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit und Elo­quenz ver­eint, ist unse­re Spra­che ein­fach zu tief von Gen­der­the­men durch­drun­gen, weil sie schlicht und ein­fach ein Erbe aus sehr sexis­ti­schen Zei­ten ist. 
Die ers­te, ein­fachs­te und mei­ner Ansicht nach schlech­tes­te Idee unse­re Spra­che gen­der­ge­rech­ter zu gestal­ten ist das vor­herr­schen­de Mas­ku­li­num um ein Femi­ni­num zu erwei­tern. Wir ken­nen das als »Gärtner(innen)«, »Gärtner/innen«, »Gärt­ner/-innen«, »Gärt­ne­rIn­nen«, »Gärtner_innen«, »Gärt­ner-innen«, »Gärtner_innen«, »Gärtner*innen« oder »Gärtner:innen«. Aber wie auch immer das Femi­ni­num nun ange­han­gen wird, es führt letzt­end­lich zum Gegen­teil des­sen, was es lösen möch­te. Denn mit jedem »Innen« bla­sen wir unse­re Spra­che nur wei­ter mit Gen­der auf. Und nicht nur das. Wir bla­sen sie mit binä­rem Gen­der, dem Schlimms­ten aller Gen­der­bil­der, auf. Wir fes­ti­gen und för­dern nur den Sexis­mus unse­rer Spra­che. Unter­schei­den Män­ner und Frau­en noch inten­si­ver, obwohl wir doch bei­de eman­zi­pie­ren möch­ten. Gren­zen nicht-binä­re Men­schen noch wei­ter aus, obwohl wir sie inklu­die­ren möch­ten. Belas­ten Men­schen, die nicht auf ihr Geschlecht redu­ziert wer­den wol­len, mit noch stär­ke­rer Kenn­zeich­nung ihres Geschlechts. Machen das The­ma Gen­der nur noch grö­ßer bei dem Ver­such, es gerech­ter zu gestal­ten. Aber wenn Gen­der das Pro­blem ist, kann noch mehr Gen­der nicht die Lösung sein. Nein, Gen­der­pro­ble­me lösen heißt Gen­der abbau­en. Denn hat unse­re Spra­che kein Gen­der mehr, kann sie kein Geschlecht mehr diskriminieren. 
Wie neh­men wir also der gen­der­be­ses­sens­ten aller Spra­chen ihr Gen­der? Ohne sie kom­plett neu zu erfin­den, was kei­ne Opti­on dar­stellt, geht das lei­der nicht, aber man kann die Gen­der­the­men unse­rer Spra­che redu­zie­ren und so vie­le Schrit­te zur gen­der­neu­tra­len Spra­che gehen, wie es die eige­ne Elo­quenz erlaubt. Die bes­te und bis­her auch erfolg­reichs­te Stra­te­gie dazu ist die Neu­tra­li­sa­ti­on. In vie­len Fäl­len reicht es schon »Frau« oder »Mann« durch »Mensch« oder »Per­son« o. ä. zu erset­zen und z.B. aus dem »Geschäfts­mann« den »Geschäfts­men­schen« zu machen. An ande­ren Stel­len kann man sich auf den geschlechts­neu­tra­len Plu­ral bezie­hen und bei­spiels­wei­se »Lesern« und »Lese­rin­nen« ein­fach »Lesen­de« nen­nen. Oder man leiht sich bei ande­ren Spra­chen, die weni­ger gen­der­durch­drun­gen sind, Wör­ter und nennt z.B. das »Kin­der­mäd­chen«, wel­ches kein männ­li­ches Pen­dant hat, »Aupair«. Manch­mal hat sogar die deut­sche Spra­che auch ein­fach schon ein gen­der­neu­tra­les Wort, das man ein­fach nur benut­zen muss. Wie z.B. zu »Die­ben« und »Die­bin­nen« »Lang­fin­ger« zu sagen. In man­chen Fäl­len muss man ein wenig krea­tiv wer­den, um aus »Juro­ren« und »Juro­rin­nen« schlicht­weg »Jury­mit­glie­der« zu machen, aber da Spra­che glück­li­cher­wei­se ein leben­di­ges Medi­um ist, wird jede gute Idee Teil unse­res Sprach­ver­mächt­nis­ses. Soviel zu eini­gen Mit­teln der gen­der­neu­tra­len Spra­che. Es gibt noch vie­le mehr und jeder Mensch darf sie alle nutzen.. 
Aber so heil­sam und wich­tig es auch sein mag, unse­re Spra­che von Gen­der zu befrei­en, so unend­lich weit wie der Weg dort­hin scheint, wird es noch­mal 400 Jah­re dau­ern, bis sie kom­plett frei von Gen­der funk­tio­niert und sich dabei auch noch gut anhört. Doch irgend­wann muss man anfan­gen, sonst redet man ewig so wei­ter als käme man aus dem Mit­tel­al­ter des 16. Jahr­hun­derts. Und bis es so weit ist brau­chen wir ein­fach viel Geduld, Ver­ständ­nis und vor allem gute Ner­ven. Geduld um die sprach­li­che Raf­fi­nes­se zu fin­den, die es braucht, um Gerech­tig­keit und Schön­heit in unse­rer Spra­che zu ver­ei­nen. Ver­ständ­nis für alle, die lie­ber an ihrer alten Spra­che fest­hal­ten wol­len. Und gute Ner­ven beim Spre­chen einer Spra­che, die trotz aller Bemü­hun­gen noch immer voll von Gen­der ist. 
Abschlie­ßend möch­te ich noch eine klei­ne Übung mit­ge­ben, die schnell und effi­zi­ent hilft, das eige­ne Sprach- und Welt­bild etwas zu ent­rüm­peln.: Ver­zich­tet ein­fach mal beim Spre­chen und Den­ken auf die Wör­ter »männ­lich« und »weib­lich« sowie ihre Deri­va­te. Ersetzt sie statt­des­sen je nach Kon­text mit einem ande­ren Voka­bel, der beschreibt, was ihr damit sagen wollt. Z. B. wird der Satz »Mein Kol­le­ge Horst ist voll wei­bisch« dann zu »Mein Kol­le­ge Horst ist voll emp­find­sam und mit­füh­lend«. So drückt man wesent­lich genau­er aus, was man eigent­lich meint und lässt den armen Horst nicht so daste­hen, als wäre er im fal­schen Kör­per unter­wegs. Klingt ein­fach. Ist es auch, aber kann das eige­ne Sprach- und Welt­bild sehr berei­chern. Viel Spaß damit! 

One thought on “Liebe Lesende

  1. Ent­schul­di­gung,

    Ich habe in die­sem Arti­kel an 67 Text­stel­len For­mu­lie­run­gen ver­wen­det, die mit gutem Recht als gen­der­po­li­tisch pro­ble­ma­tisch zu inter­pre­tie­ren wären. Es tut mir leid, falls das Gefüh­le verletzt. 

    Luci­en

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